All the answers are inside

Nächstes Projekt
 

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Ich heiße Esther Lucia Maria Seidel. Esther ist ein jüdischer Name, obwohl ich keine Jüdin bin. Ich komme aus einem kleinen Dorf am Bodensee, Lucia und Maria waren meine Grossmütter, alle Beide zwei herzlose Omas.

Ich bin nicht wie sie sondern das genaue Gegenteil, wie schön ist also der Gedanke dass wir nicht nur aus unseren Vorfahren, Blut, und der Materie unserer Familiengeschichte bestehen, sondern frei sind zu wählen unseren eigenen Spuren zu folgen, indem wir die Traumata, Enttäuschungen und Verletzungen die sich in unserem Stammbaum finden hinter uns lassen können, und den Blick darüber hinaus richten, ins Universum, wo so viele Antworten zu finden sind.

 

 

ALLE ANTWORTEN SIND IN UNS

 

Ich bin eine Künstlerin, und das ist mehr als ein Beruf eine wirkliche Berufung. Bis heute habe ich nie aufgehört mein Inneres durch meine Arbeiten zu erforschen, zu suchen und ihnen zu folgen.

 

Sie sind ich,

ich bin sie,

sie sind mein Inneres

wie ich ihr Äußeres bin,

und so wie ich mein Leben verändert habe,

veränderten sich meine Arbeiten mit mir.

 

 

LEBEN

 

Ich habe angefangen in Bamberg Kunstgeschichte zu studieren, bin aber recht schnell nach München gezogen um mich dort an der Kunstakademie zu bewerben. Ich fand eine Assistentenstelle bei einem Bildhauer, der sowohl in München als auch in Pietrasanta arbeitete, und so ging ich nach Italien und schrieb mich an der Accademia Di Belle Arti Di Carrara ein.

Im ersten Studienjahr lernte ich Patrick kennen, einen jungen Schweizer, der mein Gefährte fürs Leben, die Arbeit und der Vater meines Sohnes wurde.

Mein ganzes Interesse galt dem Studium des menschlichen Körpers oder besser gesagt, dem weiblichen Körper. Beim modellieren meiner grossen, voluminösen Skulpturen lernte ich viel über Harmonie und Gleichgewicht der Formen. 

Sie waren sehr schwer, meist arbeitete ich mit Zement oder Terracotta, der Arbeitsprozess selbst war aufwendig und sehr langwierig.

Heute wie damals ist die Inbesitznahme von Zeit, um sie ganz meinem Schaffen zu widmen, ein Teil jeder meiner Arbeiten, als wäre sie ein Element, ein Material, eine Farbe.

Im Jahr 2000 wurde Vincent geboren, und kurze Zeit später zerbrach nach 17 Jahren unsere Ehe.

Mein Leben veränderte sich von Grund auf, ich war allein mit meinem Kind und musste die alten Modelle des Zusammenlebens aufgeben, und eine neue Alltagsstruktur finden um zu arbeiten und mich als Mutter und Künstlerin zu fühlen.

Ich begann mich zu fotografieren und die Selbstporträts am Computer zu bearbeiten.

Dann ließ ich sie auf ein Tuch drucken, kaufte Wolle und mein "mobiles Atelier" war erfunden!

Wo auch immer ich mich befand, Vincent und das Stickzeug waren bei mir.

Es war neu meine Weiblichkeit im Umgang mit diesem federleichten Material zu erleben, und die sich gleichmäßig wiederholende Geste von Nadel und Faden empfand ich wie ein Mantra.

 

 

STUDIUM UND SUCHE

 

In den letzten Jahren habe ich mich immer intensiver mit einem Thema beschäftigt, das mir sehr wichtig ist, und zwar mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust und dem Nationalsozialismus.

Im Vergleich zu dieser grauenhaften Erfahrung verlor jeder Schmerz in meinem persönlichen Leben seine Bedeutung. Darüber hinaus führte mich die Vertiefung und der Versuch, diesen historischen Moment zu verstehen und aus verschiednen Blickwinkeln zu lesen, wie es dazu kommen konnte, dazu, mich zu fragen: wie hätte ICH mich verhalten.

Es ist allzu leicht sich vorzustellen, das man mutig ist, zusammen mit einer Gruppe von Widerständlern.

Es besteht nur die Hoffnung dass es so gewesen wäre, aber das Thema Schuld bleibt weiterhin präsent in meinem Leben.

 

Meine heutigen Arbeiten entstanden aus einer langen Reihe von Erfahrungen, des Schmerzes, des Mutterwerdens, des Zerbrechen meines großen Traums vom Paar und einer traditionellen Familie, der vielleicht nicht einmal meiner war, sondern von meiner Erziehung vorausgesetzt wurde.

Ich bin mit einer zutiefst katholischen Mutter aufgewachsen und erlebte Religion als ein äußerliches und formales Dogma, bis zu dem Punkt, dass ich als Erwachsene aus der Kirche ausgetreten bin.

Ich glaube an keinen Gott, an keine Gottheit außerhalb meiner Selbst, sondern glaube, dass das Göttliche in uns ist. Ich begreife Spiritualität als den kontinuierlichen Weg auf der Suche nach dem eigenen inneren Selbst.

Als Kind war ich fasziniert von der Madonna und vor allem von den künstlerischen Darstellungen, insbesondere von der Schutzmantelmadonna, die ganze Völker unter ihrem Mantel beschützt.

Ich habe mich immer als Madonna verkleidet, mit Schleier und Umhang, und sie nachgeahmt.

Heute wie damals stelle ich mich als Madonna mit Nimbus dar, als Frau und Mutter und große Beschützerin.

In meinen Werken sind meine Gedanken, Hoffnung, Trost, Liebe zur Welt, zu den Menschen und zur Natur eingestickt. All dies ist in meinen Madonnen, Sternen, Weltkugeln und den Halos dargestellt.

Ich interpretiere den Nimbus als ein inneres Licht, das sich im Universum spiegelt, als unsere Aura.

Seit jeher bin ich gerührt, sei es nur wenn ich von den Lichtkränzen lese, oder sie ansehe oder sticke. 

 

 

INSPIRATION UND KREATION

 

Wenn ich ein neues gesticktes Wandbild beginne, lasse ich mich sehr oft von der Besonderheit eines Stoffes inspirieren. Es kann ein kleines Stück Stoff aus einer Polsterei sein, oder ein Leinen von einem Antikmarkt.

Das manuelle Sticken, der lange, langsame und sich wiederholende Prozess spiegelt sich in mir, und entspricht meiner Langsamkeit vollkommen.

Ich liebe es zu arbeiten, zu denken und mich um meine Kunstwerke zu kümmern. Alles mit Sorgfalt und Liebe anzufassen macht mich glücklich.

Ich experimentiere  mit verschieden Texturen, kaufe antike, liturgische Materialien, aus dem ich Blumen und Ornamente ausschneide und dann zu etwas neuem komponiere.

Oder ich drucke Blumen, Kräuter und Blätter auf Stoffe und bereite verschiedene Arten von Rost - und Essigwasser zum Färben meiner Textilien vor.

 

Seit geraumer Zeit sammle ich Aluminiumdeckel und Kaffekapseln, die ich mit einer Presse zerdrücke und mit Draht verbinde.

Ich werde sie verwenden, um einen Mantel für eine 5 Meter große Madonna zu gestalteten, die im Freien aufgehängt werden soll, wobei ich nur recyceltes Material verwende.

Im Augenblick arbeite ich an demTriptychon einer Madonna, die ich Mutter Erde nenne, aber mein nächstes Projekt ist bereits in Vorbereitung. Es ist eine Serie von Wandbehängen, das Motiv immer die gleiche Frau, oder Madonna, ich selbst, die die Welt durchquert.

Die Stickerei wird auf Jacquard- Webstühlen ausgeführt, einer Art von Webstuhl der sehr komplexe und aufwendige Musterungen ermöglicht.

All dies geschieht in Zusammenarbeit mit Riccardo Bruni, einer Person von großer Professionalität und Leidenschaft, Textildesigner für Lyria, einem wichtigen italienischen Textilunternehmen mit einer konstanten und innovativen Materialforschung.

Dort fand ich die schönsten und speziellsten Stoffe überhaupt.

 

Abschließend möchte ich euch jungen Künstlern von heute sagen: lasst euch nicht beeinflussen, ändert eure Träume und Ideen nicht für Andere, alles was ihr wirklich wollt werdet ihr erreichen, vielleicht wird euer Weg nicht genauso verlaufen wie ihr es euch vorgestellt habt, aber lasst euch nicht einschüchtern, hier geht es um euer Leben und um eure Entscheidungen, folgt eurer inneren Stimme, die euch dahin bringt zu verstehen wie ihr euch ausdrücken wollt, was ihr zu sagen habt und welches künstlerische Medium zu euch passt.

Zögert nicht auszuprobieren und herum zu experimentieren, und der Rat der mir am meisten am Herzen liegt ist dieser: habt keine Angst zu versagen, oder nicht gut genug zu sein, drückt eure Kunst trotzdem aus,ohne daran zu denken ob Andere sie verstehen oder nicht. Ihr seid einzigartig, jeder von euch, mit seiner eigenen Geschichte, die jeder auf seine Weise herausarbeitet.

Ich habe einen Monat in Island verbracht, zusammen mit 40 Künstlern aus aller Welt, im Alter von 25 bis 76 Jahren. Es waren Bildhauer, Tänzer, Musiker, Fotografen, Maler, Performer, Dichter und Videokünstler. Jeder war mit seinem eigenen Projekt beschäftigt und gleichzeitig immer bereit, den Anderen zuzuhören, Ratschläge zu geben und Meinungen auszutauschen.

Es gab keine ethnischen Unterschiede, wir waren Seelenverwandte, eine Einheit, eine Großfamilie.

Die Welt ist unser zu Hause und jeder arbeitet auf seine Weise daran sie zu verbessern, sich um sie zu kümmern und ihr zu helfen.