In meinen Arbeiten heute finde ich die Langsamkeit wieder, die ich so an der Skulptur geliebt habe, jedoch ohne ihre Schwere. Die ständige Wiederholung der Geste mit Nadel und Faden, so bescheiden, doch gleichzeitig meditativ und tiefsinnig sind die Verbindung meiner emotionalen Kommunikation geworden.
Die hinreissend leidenschaftlichen Lektionen meines Kunstgeschichte-professors Robert Suckale vor der Fassade der Kathedrale in Chartres, machten mir klar, dass ich das falsche Studium gewählt hatte.
Nichts als eine mittelmässige Kunstgeschichtlerin würde aus mir werden, also beschloss ich mein Studium in Bamberg abzubrechen, packte meinen VW Bus und machte mich auf den Weg nach Italien,wo ich Bildhauerin werden wollte.
Meine Eltern waren recht unglücklich über diese spontane Entscheidung mitten im laufenden Semester und hofften wohl, indem sie mir ihre finanzielle Unterstützung entzogen, mich zur Umkehr zu bewegen. Aber ich fand schnell Arbeit im bildhauerüberfüllten oder angefüllten oder erfüllten Pietrasanta ...... morgens den verklebten Fussboden einer Pizzeria schrubben, dann einen Job als Kellnerin in einer kleinen Pension, abends Aktmodell für eine venezuelanische Bildhauerin.
Ich kaufte mir ein Motorrad, eine private Portion Freiheit, konnte so von einem Job zum nächsten sausen, zwischendurch im Meer baden, nur von meiner Bildhauerei war noch nicht viel zu sehen, aber das würde schon noch kommen.
Ich schrieb mich an der berühmten Accademia di Belle Arti di Carrara ein, wurde eine leidenschaftliche Bildhauerin, erlernte Techniken und Geheimnisse dieser langsamen und poetischen Ausdrucksweise, absolvierte mein Studium mit Auszeichnung, und lernte dort Patrick John Steiner kennen, mit dem ich 16 Jahre im selben Atelier arbeitete, er abstrakt und ich figürlich.
Mit unendlich schweren Skulpturen füllten wir Ausstellungen in Deutschland von Nord bis Süd, und Ost bis West, gewannen Wettbewerbe, durften öffentliche Bereiche schmücken und private Gärten bereichern.
Wir pendelten zwischen Italien und dem Bodensee hin und her, arbeiteten voller Enthusiasmus, ein phantastisches Team.
Am 21.Juni 2000 kam unser Sohn Vincent Fortunat Steiner zur Welt.
Ein völlig neuer Lebensabschnitt begann, alles veränderte sich, und nicht immer zum Besten. Die Beziehung zu Patrick begann sich zu lösen, und auch die Skultptur, die an uns gebunden war spiegelte sich nicht mehr in mir.
Verworrene Zeiten kamen auf mich zu.
Meine Rolle als Mutter erfüllte mich im selben Maße als sie mich von mir fortriss.
Ich begann zu fotografieren, am Computer zu arbeiten, und indem ich die Fäden meines Lebens sortierte, fand ich zu Stoff, Wolle, Seide.
Der Wunsch nach dieser weiblichen Arbeit war Ausdruck dessen was ich lebte, zu jeder Tages und Nachtzeit konnte ich sticken ohne mich von meinem Sohn zu entfernen. Ich fühlte mich wieder frei.
Aus verschiedenen Gründen hatte ich nach fast 6 Jahren, in welchen ich mich hauptsächlich mit meinen Stickbildern und lebensgrossen Auftragsarbeiten beschäftigt hatte, wieder begonnen, Skulptur zu machen, ganz einem inneren Drang folgend.
Nur einer dieser Gründe, der Letzte, der entscheidende war die Steinskulptur, die seit geraumer Zeit auf meinem Tisch gestanden hatte, auf dem ich normalerweise meine Stoffe ausbreitete und bearbeitete, und die ich immer schon als " unvollendet " empfunden hatte, als warte sie auf irgendetwas Besonderes.
An jenem Herbstabend nähte ich ihr aus Webpelz einen Umhang und häkelte aus verschiedenen Wollresten einen Schal aus eben dem Material, das auf dem Arbeitstisch liegengeblieben war, und hüllte ihn um sie.
Plötzlich war der Anfang gefunden, die neue Vision, die sich in den letzten Monaten langsam aber immer dringlicher in mir ausgebreitet hatte, hatte eine Form angenommen.
Die Verbindung von Skulptur, Stoff und Wolle, von neu erkundeten Materialien und meiner ursprünglichen Arbeit hatten sich in dieser Skulptur vereint und liessen mich spüren, dass ein neuer Abschnitt begonnen hatte.
Aber wie das Leben so spielt, hat sich ebendieses, mein Leben und somit auch in gleichem Masse meine Arbeit, wie immer Hand in Hand gehend, verändert.
Meine zweite Beziehung zerbrach nach 13 Jahren, die Arbeit an den Skulpturen hatte in Aufträgen für öffentliche Plätze ein solides Standbein gefunden, das Sticken sich immer mehr zum tiefen, inneren Ausdruck meiner Selbst entwickelt.
So begann ich 2016 mein erstes grosses Stickbild JOURNEYS 3 m x 2 m , an dem ich fast ein ganzes Jahr arbeitete.
Ich stickte in 4 Sprachen ein Poem über die Liebe, über Familie, über Versprechen und nicht gehaltene Versprechen, über Hoffnung und Selbsterkenntnis auf den Mantel der von einer Aureola umgebenen Frau, DONNA - MA- DONNA, die Ich selbst bin, Ich stellvertretend für die Frau, die Mutter, die Madonna…
aufgewachsen mit einer sehr religiösen Mutter, als Kind verliebt in die Darstellungen der Schutzmantelmadonnen , und sie `spielend´, imitierend, mit langem Gewand und Schleier, bin ich jedoch bereits vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten.
Ich verdichte mich, die Reise geht zurück, geht durch die gelebte, erlebte Gegenwart hindurch immer näher an mich Selbst, und meine Kunst mit mir. Mein Leben hat mich genau dahin gebracht wo ich sein möchte und ich sehe mich mehr denn je als die Frau die ich tatsächlich bin.
In all meinen Werken geht es um Zeit, um Langsamkeit, um Meditation, um Spiritualität. Stich um Stich werden Gedanken um die Erde, um Hoffnung, Trost, die Frau als die grosse Beschützerin, um Glück und Liebe für die ganze Menschheit, um die Welt in der wir alle gemeinsam leben und gemeinsam Wege finden müssen, gestickt - täglich, stundenlang, monatelang.